So gesehen
Kunstverein Landshut
Einführungsrede von Ursula Bolck-Jopp, 9.2.2024
Willkommen in einer Ausstellung, die uns hoffen lässt
auf ein Ende von Kälte, Eis und Matsch. Hier ist
der Frühling am Start. In fantastischen farbigen Welten
bewegen sich kleine Figuren, alleine oder auch in Begleitung
mit anderen Menschen, Hunden oder Kühen.
Die Kunsthistorikerin Dr. Sabine Heilig fühlte sich
an Alice in Wonderland erinnert. An Alice, die auf Däumlingsgröße
geschrumpft durch ein Wunderland mit riesigen Pflanzen und
Fabelwesen irrt. Alice kann durch das Knabbern an einem Pilz
ihre Größe beeinflussen (der Tipp kam von einer
wasserpfeiferauchenden Raupe). Das können Hegers Figuren
auch, zumindest im Auge des Betrachters. Mal erscheinen sie
winzig, z.B. wenn sie unter gigantischen Gänseblümchen
hindurch wandern. Dann wieder wirken sie normal-groß,
man sieht sie - wie aus der Ferne durch Landschaften
mit Feldern und Blühstreifen umherziehen. Es könnten
auch Straßen, Wege, Plätze oder niedrige Mauern
sein. Oder: mit dem Pinsel gezogene Streifen und Flächen
in Öl oder Acryl!
Oftmals bewegen sich die Personen aber auch in einer nicht
näher definierten Welt aus Farbschlieren oder Pinselspuren,
der Betrachter darf sich immer eigene Geschichten ausdenken.
Jedenfalls sind die Personen immer von der Seite, die Landschaften
oder Farbfelder von oben zu sehen. Die Figuren wandern gar
nicht durch Landschaften, sie laufen durch Malerei!
Ein Minimann wagt sich in ein Gebiet namens Pflanzenkunde
vor. Wie in wissenschaftlichen Werken üblich, betritt
er ein Reich von Versuchsanordnungen. Doch es ist eine verkehrte
Welt: Die gigantischen Glasgefäße haben keine Ähnlichkeit
mit labortypischen Petrischalen, Reagenzgläsern oder
Kolben, eher sind es gewöhnliche Wasser- und Marmeladengläser
und Vasen. Das Forschungsobjekt, die Pflanzen,
hingegen haben nichts Vegetabiles, sie bestehen aus geradlinigen
Klebestreifen, die zackig knicken wie ein Meterstab, anstatt
pflanzentypisch organisch zu wachsen. In Einzelfällen
verkümmern sie am Ende wie echte Gewächse. Manchmal
ist eine leichte Verschiebung zu beobachten, um ganz realistisch
die optische Brechung der Halme im Wasser anzudeuten. Andererseits
ist das Glas oft nicht durchsichtig, es verdeckt die fein
säuberlich geordneten Streifen-Halme! Schon klar, die
sind nur bis an die Gefäßgrenzen gemalt, ein irritierendes
Spiel mit der Illusion! - Was für eine Botaniklehrstunde
wird das hier? Der kleine Mann kann sich nur wundern und wie
Alice in einen Magic Mushroom beißen.
In den früheren Arbeiten mit dem Titel Blühwillig
sind ähnliche Gläser mit immerhin noch Blüten
zu erkennen, die ein bisschen wie Andy Warhols Schablonenblumen
aussehen.
Wasser ist ein Lieblingsmotiv bei Thomas Heger und
damit auch darin Badende. Und wie könnte
man Wellen passender darstellen als mit Wellpappe? Der Wellenschwimmer
wurde sogar das Titelbild für diese Ausstellung.
Die Kartons hier auf dem Boden beschäftigen sich mit
einer Frage, die mir auch schon oft durch den Kopf ging: Warum
heißt im englischen Sprachraum der Postversand Shipping?
Mir wurde ein Paket noch nie per Schiff zugestellt! Bei Heger
haben sich Schwimmer Pools eingerichtet auf den Paketen
und hoffen nun mit Lale Andersen:
Ein Schiff wird kommen
Sommerliches Badevergnügen finden Sie auf vielen Werken
in dieser Ausstellung, hier z. B. könnte man vom Sprungbrett
eine Arschbombe in den Hotelpool wagen! Zwei Sprungbretter
zeigen allerdings nicht zum Wasser, vielleicht sind es gestreifte
Handtücher?
Holle Nann, die Leiterin der Städtischen Galerie Ostfildern
stellte fest:
Das runde Bildformat besitzt eine ungeheure Suggestivkraft.
Gleich einem Brennglas bu¨ndelt es die Blicke des Betrachters
Rundbilder bzw. Tondi waren bereits in der Antike beliebt
vor allem als Reliefs zum Schmuck an Architekturelementen.
Runde Formate in der Malerei gibt es zwar auch schon lange,
aber sie sind eher ungewöhnlich und somit besonders.
Und hier finde ich doch noch meine Petrischale:
Inmitten von grünen Bakterien ok, es könnte
auch eine Parklandschaft aus der Vogelperspektive sein, der
Titel Park lässt dies vermuten kreisen
kleine Menschen, die Spielzeugfigürchen ähneln.
Es reizt: Man möchte an der Scheibe drehen und sie zum
Rotieren bringen!
Ein anderer Tondo heißt: Mondtag! Der Titel
ist klar, der Mond ist noch oder schon am taghellen Himmel
zu sehen. Mir fällt Andrea Mantegnas berühmtes Deckenfresko
in der Camera degli Sposi im Palazzo Ducale in
Mantua ein, auch wenn dort weiße Wolken statt Mond über
den Himmel ziehen und das Personal samt Pfau und Putten neugierig
hinunter zum Betrachter blickt. Bei Heger stehen vereinzelte
Figuren mit dem Rücken zur Balustrade, die meisten schauen
himmelwärts und zum Mond, der interessanter zu sein scheint
als wir. Aber der Kunstverein ist ja auch kein herzogliches
Schlafgemach
.
Dieser Blick zum Himmel mit Mond heißt Rundlauf.
Hier geht es vielleicht um Fitness.
Nächtliche Spaziergänge im Mondenschein genießen
Thomas Hegers Figuren besonders. Die Grünstreifen
am Wegesrand sind übrigens weder collagiert noch gestempelt.
Die pflanzlichen Formationen kreiert Heger, indem er Lösemittel
den Farben beifügt, die durch Gerinnung für Muster
und Schlieren sorgen, die an Buschwerk oder Krater erinnern.
Die extremen Formate, rund oder sehr langgestreckt, sind bei
Thomas Heger nicht als dekorativer Gag zu verstehen, sie entsprechen
den Themen, wie den laaangen Spaziergängen.
So gesehen lautet der Ausstellungstitel. Dies
war meine Sicht auf Thomas Hegers Arbeiten, Sie entdecken
bestimmt anderes und noch vieles mehr. Mir geht das jetzt
in der fertigen Ausstellung genauso. Doch Sie sollen wissen,
dass mein Redetext anhand von Abbildungen entstehen musste,
bevor der Künstler aus Stuttgart angereist - gestern
aufbaute, für Änderungen und Ergänzungen blieb
dann kaum Zeit. Aber auf eigene Entdeckungsreise gehen macht
gerade in dieser Ausstellung viel Spaß, Sie wollen gar
nicht alles schon erzählt bekommen haben. Sogar auf echtes
Gold werden Sie stoßen, wenn Sie nur genau genug hinsehen!
Thomas Heger hat an der Staatlichen Akademie für bildenden
Künste in Stuttgart studiert und zeigte seine Werke in
vielen Ausstellungen im In- und Ausland. Er erhielt für
seine Arbeit zahlreiche Preise und Stipendien.
Aber nicht nur als Künstler ist er erfolgreich, sondern
auch in der Lehre. So hat er Lehraufträge an Kunstakademien
und Hochschulen inne. Er war auch mehrere Jahre Professor
an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle.
Magic Mushrooms gibt es erst am Rosenmontag, aber wir haben
Alkohol für Sie bereitgestellt! Genießen Sie nun
den Abend ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ursula Bolck-Jopp, 9.2.2024
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Thomas Heger
Von den Dingen, über die Dinge
Cette chose est faite pour perpétuer mon souvenir:
dieses Ding wurde gemacht um mein Gedächtnis zu
verewigen. So betitelt der französische Künstler
Francis Picabia ein 1915 von ihm geschaffenes Gemälde,
das ein Ding zeigt, einen beschreibbaren, nicht aber benennbaren
Gegenstand bzw. benennbare Gegenstände: vier kreisförmige
Scheiben in vier kreisförmige Scheiben in vier kreisförmige
Scheiben geschichtet, verbunden durch vier Stäbe über
eine weitere, weiße kreisförmige Scheibe, überfangen
durch weitere, abgewinkelte Stäbe oder Röhren. Ein
Ding, das nach Maschine aussieht ohne eine Funktion zu offenbaren.
Ein Ding eben. Ein Ding, das nach Dada riecht. Wobei Hottehüs
bzw. Steckenpferdchen, was Dada im Französischen meint,
selten riechen.
Scheinbar weit entfernt von einem solchen Ding und tatsächlich
doch sehr nah sind die alltäglichen Dinge, jene, denen
man in unterschiedlichsten Situationen und Zusammenhängen,
wie in Ereignissen oder im Stillen begegnet. Es sind unscheinbare
Dinge, sonderbare Dinge, merkwürdige Dinge, unglaubliche
Dinge, Dinge an sich, die anfänglichen Dinge und die
letzten Dinge, die stillen Dinge und die lauten Dinge, die
großen und die kleinen Dinge, die nutzlosen Dinge, die
bunten und die grauen Dinge. Es sind Dinge, die sich bewegen
und Dinge, die still stehen und in ihrem Stillstehen dennoch
voller Leben scheinen. Es sind Dinge, die gegeben sind, Dinge
die wir allgemein der Natur zuordnen. Es sind Dinge, hinter
denen sich menschliche Entwürfe verbergen, Dinge, die
einer Kultur zuzuordnen sind, Dinge, welche nach heutigem
Kenntnisstand in der Steinzeit zum ersten Mal manifest werden
und von denen eine kontinuierliche Entwicklung zu den heutigen
Dingen sich aufzeigen lässt. Es sind die Dinge, durch
die hindurch das Wesen des Lebens aufscheint, wahrnehmbar
und erfahrbar wird; Dinge, die Gedanken, Überlegungen,
Regungen auslösen, die Literaten, Archäologen oder
Philosophen beschäftigen; Dinge, die einen aber genauso
gut unberührt lassen können. Die Geschichte dieser
kulturell bedingten Dinge spiegelt in all ihren Facetten und
ihrer bruchstückhaft erforschten Existenz über die
Jahrhunderte hinweg auch die Geschichte des Menschen wider.
Von solchen Dingen und über solche Dinge handeln die
Werke des Stuttgarter Künstlers Thomas Heger, die auf
kleinen bis großen Leinwandbildern, die auf gezeichneten
und geschnittenen Zeichnungen, die in geschnittenen und gegossenen
Plastiken aus Seife und Bronze sich offenbaren. Und auch seine
Werke könnten den Bildtitel Picabias tragen. Sie fundieren
auf der schweifenden Neugier eines Wahrnehmenden, der die
Geschichte des eigenen Metiers ebenso gegenwärtig hat,
wie die Geschichte der eigenen Spezies und die der Dinge,
die sich in seiner Erinnerung abgelagert haben und zugleich
aufs Stete einprägen. Der darüber hinaus mit offenen
Augen durchs Leben schreitet, welches seit vielen Jahren städtisches
Leben ist, was auch sein Bild vom Leben, die Weltanschauung
des Künstlers prägt.
Stillleben und Realitätsbezug
Es sind auf den ersten Blick die Dinge des stillen Lebens,
Stillleben, die die aus unserem kulturellen Kenntnisstand
benennbaren Gegenstände in einen spannungsreichen, widersprüchlichen,
kontrastierenden neuen Kontext fügen, der ein Oszillieren
zwischen Ding und Gegenstand hervorbringt. Derartiges zeichnet
sich beispielsweise in städtischen Strukturen ab: aus
dem scheinbaren Gewirr an Straßen und Architektur blinkt
hier ein Mäander hervor, dort ein barock schwingender
Sandsteinportikus, hier ein farbig gefasster Stahlerker, dort
ein sachlich nüchterner Edelstahlbalkon. Ein Ornament
bricht die klare Linie, die Nüchternheit serieller Architektur
steht gegen die Üppigkeit einer vielfach gebrochenen
Steinfassade der Gründerzeit. Wenig Rücksicht auf
Feinheiten nehmen die Straßen selbst, die wie ein Schnittmuster
die architektonischen Massen begrenzen und teilen.
Die Differenzierung solcher Wahrnehmung ist verbunden mit
dem zweiten Blick. Jener nimmt auch die Ruhe in der sonst
überaus bewegten städtischen Struktur wahr, registriert
jenen Kontrast, der dem von ausschnitthafter fotografischer
Sicht und unaufhörlich ablaufenden Filmbildern gleichkommt.
Fotografie und Film (u.a. in Form der Television) sind zu
Beginn des 21. Jahrhunderts ohnehin die unumschränkt
prägenden Instanzen unserer visuellen Wahrnehmungsfähigkeiten,
die unsere Sicht auf die Dinge und Gegenstände geformt
hat und formt und zugleich mit ihren Bildern unsere Realitätssicht
entscheidend beeinflusst. Zum einen in der Art und Weise wie
wir unsere Umwelt wahrnehmen: selektierend, im schnellen Schnitt,
ausschnittsbegrenzt, seriell; zum anderen in der Art und Weise
wie wir das Aufgenommene behalten: im Kompilieren vereinfachend,
bruchstückhaft, additiv verflachend.
Keine Frage, Thomas Hegers Bilder, Zeichnungen und auch Kleinplastiken
spielen scheinbar leichthändig mit diesen dinglichen
Wahrnehmungsphänomenen. Dies setzt das Wissen um diese
Phänomene ebenso voraus, wie das geübte Auge, das
hinter die Dinge blickt.
In den ersten Jahren stehen in Thomas Hegers Werk die Dinge
noch in einer real benennbaren Bezüglichkeit, die ihre
Fassbarkeit im malerischen Komplex der Bilder auch in kompositorisch
gewollten Brüchen und Widersprüchlichkeiten erleichtert.
Gegenstände wie Stühle, Bilder oder Architekturteile
kontrastieren mit freien Farbflächen und Linien, die
eine Reduktion des Gesehenen auf archetypische Muster anklingen
lassen. Schon in diesen Werken tritt die gewollte Gratwanderung
zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit zu Tage,
die Thomas Hegers Werk bis heute kennzeichnet.
Wenig später finden sich Vergitterungen über kubischen
Körpern, die als Platzhalter von Architektur erscheinen,
wie die die Gitter bildenden Farbstreifen städtische
Struktur ebenso bedeuten können, als auch, in einen veränderten
Kontext mit Gefäßen gestellt, in ihrer gegenständlichen
Verifizierung als Tischtuch oder Regal benennbar wären.
Dem Künstler geht es dabei in erster Linie um die Qualität
des Musters, des Rasters, das urbildhaft als Ding für
etwas Benennbares stehen kann und in seiner abstrahierenden
oder gar abstrakten Qualität die Vielfältigkeit
seiner Benennbarkeit in sich trägt.
Dass es an eine Stadt erinnert, war mir dann egal und
heraus kam dann irgendwas, was mich eigentlich an das Gewebe
von einem Stoff erinnert hat, an eine Art Tischdecke. Ich
musste mich dann an Bilder aus der Kindheit erinnern, wo ich
als Kind dasitze, an einem Tisch, ich habe Bauklötze
draufgeschoben und die Linien waren dann für mich Straßen
und Häuser.1)
Die Bildserie Glas-Stadt-Tisch (1996/1997) ist
Ergebnis dieser Sicht des Künstlers auf solche Dinge,
die eine dem Kubismus verwandte Mehrsichtigkeit der Objekte
und Gegenstände einschließt. Das heißt, das
Hegersche Formenrepertoire ist in der spezifischen Kombinatorik
seiner Werke von sich überlagernden unterschiedlichen
Perspektiven bestimmt, die zugleich einen steten Fokuswechsel
vermeintlich unterscheidbarer Bildebenen mit sich bringt.
Die Titel, die der Künstler seinen Werken gibt, sind
dieser Multiperspektivität äquivalent, weisen dennoch
assoziativ Wege zum Ursprung wie zum Fortgang und Verständnis
des Gezeigten. Dies gilt für die frühen Werke ebenso
wie für die jüngeren und jüngsten Arbeiten
Thomas Hegers.
Transparenz und Geschlossenheit
Um diese Zeit, Mitte der 90er Jahre, findet das Glas als
Ding Eingang ins Formenrepertoire des Künstlers, das
seither die Bildwelt Thomas Hegers in Malerei und Zeichnung
beherrscht. Die Faszination an Glas-Dingen gründet sich
auf der fragilen, zerbrechlichen, transluziden, Licht einfangenden
und reflektierenden Materialität ebenso wie auf den plastischen
und zugleich linearen Möglichkeiten der Formensprache.
Seither finden wir im Werk von Thomas Heger Gläser in
allen ihren denkbaren und tatsächlichen Erscheinungsformen.
Da sind einfache Saftgläser, Weingläser, Gurkengläser,
Flaschen, geschliffene Kristallgläser, Kürbis-,
Kelch- und Blütenvasen, griechische Vasen, Kelche, Flöten,
Krater und Trichter, Schüsseln, Schalen und Schälchen.
Mit der Feinheit des Motiv-Materials verändert sich in
Hegers Schaffen aber nicht nur die Formensprache. Auch die
Malstruktur entfernt sich von der anfänglich pastosen,
den Pinselduktus offenbarenden Malweise hin zu einem den feinen
Pinsel und Lasuren bevorzugenden Farbauftrag, der sich allmählich
einer erkennbaren Handschrift entzieht.
Die Farbe wird mit einer Verklarung der Bildstrukturen zunehmend
mehr zum Ordnungsträger, mit dem Kontraste, Harmonien
wie Disharmonien erzeugt werden.
In den Werken der letzten Jahre wie auch in den jüngsten
Bildern des Künstlers haben sich Farbe und Formen zu
Bildserien gruppiert, die in unterschiedlicher Weise vor allem
mit Glasgefäßen, aber auch Bauklötzchen,
Tellern oder Naturmustern, wie mit abstrakten Flächen-
und Linienstrukturen umgehen. Auf dem grundsätzlich nahezu
monochromen Grund bringt Thomas Heger die Dinge und die Farbe
zusammen. Er schafft neue Bezüge, die auch immer wieder
neue Interpretationsmöglichkeiten eröffnen, die
Beachtung auf Unbeachtetes richten. Ohne eine Typologie der
Bildwerke zu verfolgen, kristallisieren sich in den jüngeren
Bildern Thomas Hegers Typen heraus.
Tanz der Dinge im offenen Spiel
Die Tondi-Formate der Kreislauf oder Drehung
oder Karussell titulierten Werke tragen auf dunklem
Grund transparent über- und untereinandergeschichtete
Glasgefäße, die in ihrem plastischen Volumen gekennzeichnet
sind und sich in ihrer Vielansichtigkeit jedweder eindeutigen
räumlichen Zuordnung entziehen. Zufällig wirken
diese auf eine nicht verifizierbare Ebene gestreut und lösen
in dieser chaotischen Ordnung eine wahrnehmbare Bewegung aus,
welche die Blickverdichtung in den Überschneidungen der
Gefäße noch steigert. Das Auge kommt nicht zur
Ruhe. In dieser Anordnung wie Transparenz wird zugleich die
Dünnhäutigkeit, Verletzlichkeit oder gar Brüchigkeit
dieser Objekte bewusst.2) Die dunkel gehaltene Kreisform der
Bilder tut ihr Übriges dazu und assoziiert zugleich den
Blick in die mikroskopische Welt der Virologie als auch den
in die makroskopische Welt universaler Sternensuche.
Eine noch stärke Bewegungsempfindung verschaffen die
Jongleur-Bilder, in der die Welt des Varietes
sich im Handwerkszeug der Jongleure, Tellern und Ringen, zu
fast abstrakten Mustern formt, die ein ständiges Springen
zwischen verschiedenen Bildebenen und den auf ihnen sich befindenden
Dingen evoziert. Die Dinge bleiben wie beim Jonglieren in
steter Bewegung, in der Luft gehalten, treten
in sich immer wieder verändernde Beziehungen, bilden
Gruppen, distanzieren sich, stehen alleine. Bewegungsfotographische
Effekte treten auf, wenn die Ringe Nachbilder ihrer Fortbewegung
auf der Iris sprich Leinwand hinterlassen.
Konträr zu diesem scheinbaren Chaos stehen die reduzierten
Nebensachen, in denen ein, zwei Glasgefäße
hauchzart linear auf monochromem Grund umschrieben werden,
der zugleich die Lokalfarbigkeit der Gefäße selbst
darstellt. Farbige quadratische bzw. rechteckige Flächen
hinterfangen, tragen, begrenzen die Gefäße und
schließen diese partiell ein, ohne ihnen einen Stand
zu gewähren. Auf Distanz treten die Farbflächen
als beschnittene Formen in einen abstrakten Tanz mit dem tragenden
Grund ein, der eher einer Pavane, einem Schreittanz gleicht,
denn einem Flamenco. Assoziationen an Vexierbilder stellen
sich ein.
Weltbilder und Bildwelten
Aus dieser reduzierten und klaren Farb- und Formensprache
entwickeln sich im Werk Thomas Hegers schließlich ähnlich
gelagerte Werke von größerer Dichte. In vergleichbarer
Handhabung linearer Formumschreibung, mitunter mit Binnenzeichnungen
geschliffener oder gravierter Ornamentverzierungen, sind Vasen,
Gläser, Schüsseln, Kannen oder eine afri-Colaflasche
im Nahbereich zu einer Ansammlung gruppiert. Diese
werden von orangefarbenen, blauen und grünen Farbflächen
begleitet, die in ihrer farbperspektivischen Qualität
eine räumliche Differenzierung auf dem monochrom grün,
aber wolkig strukturierten Grund erzeugen, der über die
Relation der Dinggrößen hinaus Verunsicherung schafft.
Je nach Bezüglichkeit wandern ein und dieselben Objekte
auf unterschiedliche Raumebenen, machen einen geschlossenen
Raumeindruck unmöglich.
Stehen im grün fundierten Nachbereich Ding
und Fläche noch in einem Gleichgewicht ihrer Beziehung
und Gruppierung, treten im rot grundierten Nahbereich
die Farbflächen in kräftigem Grün, Blau, Orange
und Ocker so in den Vordergrund, dass hier die Erinnerung
an die städtischen Strukturen früherer Werke und
die Kindheitserinnerungen des Künstlers wieder evident
werden. Farbflächen erscheinen in ihrer ausgeschnitten
Form als Brücken oder ganz allgemein Bauelemente, die
der großen archetypischen Sammlung von Architektur entlehnt
zu sein scheinen: dem Holzbaukasten der Kinderzeit.
Ihm haben wir Bauklötze in allen denkbaren geometrischen
Formen zu verdanken, unter anderem auch die wunderbar einfachen
und einfach wunderbaren Viadukte, Rundsäulen, Halbsäulen,
Sternsäulen, Fünfecksäulen und Ovalsäulen,
die sich nun zu Thomas Hegers Glasgefäßen in seinen
Welt-Bildern oder weltähnlichen
Bildern, aber auch in der Schausammlung einfinden
und einen Dialog zwischen illusionistisch plastischer Formung
und Flächenform beginnen, zugleich vielfach in Korrespondenz
zu den anderen Dingen, den hauchzart formulierten Glasgefäßen
treten.
So konstruiert sich aus erkennbar der Welt entlehnten Dingen
eine neue, auch neu akzentuierte Welt, die starke visuelle
Reize aussendet, in denen die Feinheit des Glashauches eine
konzentrierte Wahrnehmung erfordert. Zugleich wandert die
Wahrnehmung zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit
ohne eine Eindeutigkeit des Wer-ist-Was zu finden. Dieser
Zustand, der ebenso Prozess ist, ist letztendlich auch im
Schweben aller Erscheinungen im Bild gegeben. Gegensätze,
Kontraste, Widersprüche und Verwandschaften sind für
die Arbeit des Künstlers von großer Bedeutung und
sichtbarer Ausdruck seiner Werke. Dabei, so Thomas Heger,
liefert die sogenannte Realität lediglich die Anregung
zum bildnerischen Umgang mit unserer gewohnten Welt, also
dem städtischen Leben, dem Ambiente unserer eigenen vier
Wände oder den Dingen, die wir in Gewöhnung eher
achtlos handhaben. Die vom Künstler aus dieser gewohnten
Welt in seine Bilder transformierte Ding-Welt stellt im besten
Fall eine bildimmanente eigene Welt dar.
Wenn man denn im Werk Lichtschatten auf große
Distanz gesehen in den farbigen Schatten der lichten
Glasgefäße sich eher auf den Spuren einer neuen
Schrift glaubt, befindet man sich geradewegs auf dem Weg zur
Erkundung einer neuen Welt, die über die Dinge erzählt
und ungeahnte Möglichkeiten offen hält.
Das offene Papier
Papier hat, in welcher Qualität auch immer, seine eigenen
Strukturen, die sich in der Vernetzung der jeweiligen Fasern
zeigen, welche die Stabilität und Haltbarkeit des Papiers
garantiert. Diese Faserverbindungen machen Papier zum idealen
Träger für Zeichnungen und auch Schnitte, wie sie
Thomas Heger fertigt. Es birgt in sich dingliche Qualitäten
für qualitätvolle Dinge, für Vasen, Teller,
Krüge, fein ziselierte, fein bemalte und lackierte.
Chinoiserien und Delft, Meissen und Königlich Manufakturiertes
bringt der Künstler mit banalem Kugelschreiberstift auf
das Papier. Das Ding ist klar und deutlich zu benennen. Doch
mit dem Vergehen der Zeit nagt der Gebrauch an der Oberfläche,
bricht sie auf und verändert das erste Bild von der Klarheit
zur formauflösenden Form oder gar zur Ahnung.
Der Schnitt als künstlerisches Mittel ist ein Produkt
der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Er hat die Leinwand
und auch das Papier aus der Begrenztheit der Zweidimensionalität
herausgeführt, das Bild als solches in die Räumlichkeit
geöffnet und einer neuen Zeit der Raumerkundung und der
Unbegrenztheit wie der Prozessbetonung zum Ausdruck verholfen.
Das offene Bild entspricht dem grenzenlosen Erleben und Erkunden
einer neuen Zeit, ist Ausdruck des Alles-Ist-Möglich
nach dem Niedergang im Weltkrieg.
Thomas Hegers Bildwerke sind auch in diesem Sinn als offene
Weltbilder zu verstehen. Wenn er den Schnitt als künstlerisches
Mittel einsetzt, hat dies zwar nichts mehr mit einer zeitspezifischen
Situation zu tun. Gleichwohl ist
das offene Bild als im Gedächtnis.
Wenn Thomas Heger seine Dinge, Vasen, Schalen, Krüge
und Teller auf der Rückseite des Bildträgers Papier
mit dem Messer nachzeichnend in dieses einschneidet, ergeben
sich auf der Vorderseite ausgewölbte Öffnungen,
aber auch Strukturen, die einem Prägedruck ähneln
und den dargestellten und geformten Dingen eine erräumliche
Wirkung ganz eigener Qualität verleihen.
In den jüngsten Werken mit dem Titel Benutzeroberfläche
oder der Arbeit Fehlfarben setzt der Künstler
das Messer als Zeicheninstrument unmittelbar auf der Bildfläche
ein, die Kugelschreiberlinien der eigentlichen Zeichnung nachschneidend
und überschneidend, das Papier verletzend und aufreißend.
Die Gefäße treten aus dem Grund hervor, scheinen
vor dem Weiss des sie tragenden Papiers zu schweben. Die Oberflächen
der Gefäße erhalten durch diese einschneidende
Zeichnung zugleich den Ausdruck des Benutzten, des durch den
Gebrauch Verbrauchten, werden zur Benutzeroberfläche.
Dass diese Bezeichnung wie auch der Titel Fehlfarben
einen anderen Kontext impliziert, ist beabsichtigt. Thomas
Heger führt auch in diesem, dem zeichnerischen Medium,
seine (Bild)Weltschöpfung und ausschöpfung
in ihrer Mehr- oder Vieldeutigkeit fort. Ebenso offen und
voll ungeahnter Möglichkeiten.
Im Kern der Seife soap operas
Man nehme Talg oder Rinderfett, Sodalauge, Cocos- oder Palmöl,
Salz, Energie in Form von Wärmezufuhr, bringe dies alles
in einem sinnvoll prozessorientierten Ablauf zusammen und
schon entsteht: Kernseife.
Mit ihr verbinden wir die Vorstellung von Reinlichkeit und
Reinigungskraft, einen bestimmten Geruch ohne die Erinnerung
an Flieder, Wald und Heideröschen, lange Lebensdauer
trotz täglichem Verbrauch und eine scheinbar immer gleiche
Form von rechteckigem Kubus in erdhafter, elfenbeinfarbener
bis weißer Färbung. Mitunter ist eine Seite dieser
Form mit dem modellierten Hinweis auf den Hersteller und der
ohnehin schon allseits bekannten Dingbestimmung Kernseife
versehen.
In Zeiten von Waschgels und gereatriehemmenden Lotionen ist
sie allerdings selten geworden in unseren Boudoirs, Badelandschaften,
Wellnesszentren und Showerrooms, dieses Ding, das immer noch
für eine natürliche Reinigungskraft steht und auch
danach riecht. Alt können Sie sein, diese Dinger, und
immer noch gebrauchsfähig.
Mit Kernseifestücken verbinden sich aber auch Bilder
von Größenrelationen: sie passen in die Hand; sie
sind klein im Vergleich zu einem Baderaum; sie sind etwas
größer im Vergleich zu einem Waschbecken oder einem
Wäschezuber, zu dem sie dereinst gehörten wie das
heute wohl nur noch muskulär bekannte Waschbrett.
Thomas Heger funktioniert sie um, erhält aber darin
den Bezug zu ihrer ursprünglichen Handhabung, wahrt den
Bezug zu ihrer ursprünglichen Existenz, vergleichbar
seiner malerischen Transformation von Glas und anderen Dingen.
Seifen, einst aus einem plastischen Vorgang entstanden
denn Seifensieden ist ein Vorgang der plastischen Formung
, werden unter den Fingern des Künstlers zu Miniaturen
der dinglichen Weltwahrnehmung.
In ihrer Oberflächen- wie Binnenstruktur sind sie von
handschmeichelnder Glätte, kaum widerständig. Sie
geben dem Messer im groben wie im feinen Schnitt nach, - wenngleich
dies nicht die an sie gestellte Anforderung war - ohne dass
man Gefahr läuft, das Gesamte zu brechen. Sie lassen
grobe Formungen ebenso zu wie filigran feine, zerbrechlich
wirkende Gestaltungen.
Was Thomas Heger da seit 4 Jahren aus Seifen herausschält,
ist eine dreidimensionale Dingwelt, deren Bezug zur realen
Welt sich über die der Seife immanente Beziehung zum
Wasser und den mit diesem verbundenen Eigenschaften erschließt.
Mit einem Hauch von Ironie und Witz, jener auch Hegers Gemälden
und Zeichnungen eigenen Doppeldeutigkeit oder gar Vieldeutigkeit
entstehen Waschbecken oder ein Waschbecken für Zwei,
das sich als solches lediglich durch zwei im selben Becken
liegende Abflüsse zu erkennen gibt. Es entsteht ein Wannenbad,
in dem der Badende seine Beine aus Platzmangel imaginär
über die Begrenzung hinaus streckt. Man entdeckt noch
ein Waschbecken, ein rotes, in dem selbstverständlich
eine rote Kernseife liegt. Es entsteht ein quadratisches Schwimmbecken
mit Treppe und in gleicher Größe ein Kraftwerk,
durch dessen geöffnete Schleusen die Kraft des Wassers
und der Seife strömt. Es entsteht ein Badezimmer, fein
gekachelt mit opulenter, gefüllter Wanne. Es entsteht
ein Jungbrunnen aus Jabon Maja Myrurgia, ausnahmsweise kreisförmig,
ein spanischer Jungbrunnen, veredelt durch die Seife selbst.
Und es entsteht das Haus am Meer, von dem aus man die anbrandenden
Meereswellen zu Gesicht bekommt, deren Gischtkronen den Schaum
der Kernseife bei weitem übertreffen.
Es entstehen soap operas, keine Seifenopern, sondern Seifenwerke,
die allerdings ihre Geschichten erzählen. Sie erzählen
die Geschichten vom Menschen, der aus dem Wasser kommt, nur
dank seines Vorhandenseins existieren kann. Sie erzählen
die Geschichten von Menschen, die von der ewigen Jugend träumen
und dies tagtäglich via diverser Kommunikationsmedien
als die einzig wahre Daseinsform vorgegaukelt bekommen
wer will schon alt sein, waschen wir doch einfach die Falten
und Runzeln weg. Sie erzählen vom Haus am Meer, einem
schönen Traum, zumindest für die meisten. Sie erzählen
vom Fluss der Zeit, dem nicht nur die Seifen irgendwann folgen
werden, sondern eben auch die Menschen. Sie erzählen
von Vielem gleichzeitig, von Wünschen, Hoffnungen, alltäglich
Banalem und alltäglich Besonderem, auch von unerreichbaren
Dingen.
All diese kleinen Welten sind eingebettet in den Schutz der
Seifenstücke, Reservate alltäglicher und nicht alltäglicher
Gegebenheiten. Die Vorstellung einer rückführenden
Handhabung dieser kleinen Welten in den alltäglichen
Gebrauch trägt die Vorstellung von deren Vergänglichkeit
in sich. Auch hier ist im Werk von Thomas Heger trotz dinglicher
Bestimmtheit alles offen.
Otto Pannwitz, Leiter der Städtischen
Galerie Sindelfingen
Anmerkungen
1) Interview. Berthold Naumann und Thomas Heger am 14. Januar
2000 in Stuttgart. Veröffentlicht auf: www.galerie-naumann.de/kuenstler/heger/
2) Vgl. Franz Xaver Schlegel, Thomas Heger. In: Thomas Heger,
Köln, Stuttgart, 2003, n.p., S. 3
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Von Flächen und Gläsern, Passanten und Landschaften
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Thomas Hegers Malerei zwischen Abstraktion und Abbildung
Will man die aktuellen Bilder Thomas Hegers, die in diesem
Katalog erstmals dokumentiert werden, angemessen verstehen,
ist es hilfreich, sie im Kontext der bisherigen Entwicklung
seines malerischen Werks zu betrachten. Dabei lässt sich
der vorliegende Text von der These leiten, dass der Künstler
vor etwa 15 Jahren die Grundlagen für sein aktuelles
Schaffen legte, in dem er das Spannungsverhältnis zwischen
Abstraktion und Abbildung ins Zentrum seiner künstlerischen
Arbeit rückte. Mit dem Begriff Abstraktion ist in diesem
Text nicht die ursprüngliche Bedeutung dieses Worts -
im Sinne des künstlerischen Abstrahierens (dt. = abziehen)
von der äußeren Realität - gemeint, sondern
in dessen landläufige Deutung als Gestaltung eines Bildes
mit den autonomen Bildmitteln selbst, also mit farbigen Linien,
Flächenformen und Rasterstrukturen. Der Begriff Abbildung
bezeichnet dementsprechend den Gegenpol zu den autonomen Bildmitteln,
also die Wiedergabe gegenständlicher Motive im Bild in
Form gezeichneter oder gemalter Gegenstände, Räume
oder Menschen.
Frühe Bilder
Schon die frühen eigenständigen Bilder des Künstlers,
die um 1994 entstehen, zeichnen sich durch das Nebeneinander
von autonomen und gegenständlichen Bildelementen aus.
Als gegenständliche Motive werden stereometrisch gezeichnete
Körper wie Quader oder Kegel, aber auch Architektur-Elemente
wie Säulen, Säulengänge oder plastische Fensterfronten
verwendet, die reizvoll mit reinen Flächenformen kontrastieren.
Außerdem zeichnen sich diese frühen Raumbilder
durch die Intensität ihre Farbflächen und entschiedene
kompositorische Setzungen aus. In diesen Bildern kündigt
sich zudem ein Kompositionsprinzip an, das Thomas Heger ab
1997 häufig verwenden wird: Es sind Rasterstrukturen,
die sich gleichmäßig über die gesamte Bildfläche
ziehen. Sie sind inspiriert vom All-Over der amerikanischen
Farbfeldmalerei, die zu Beginn der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts das klassisch-europäische Kompositionsprinzip
der Schwerpunktsetzung in Frage stellte. So verbinden also
schon diese frühen Bilder räumlich-architektonische
Motive mit rein flächigen Bildelementen und damit Gegenständlichkeit
mit reinen Bildmitteln wie Linie, Fläche und Struktur.
(Vgl. Abb: Bauwerk II, 1995, Kat. 1997)
Raster und Gläser
Auf der Basis autonomer Rasterstrukturen beginnt Thomas Heger
1997 Alltagsgegenstände wie Trinkgläser oder Kristallvasen
an die Stelle der Architekturmotive zu setzen, die nach kurzer
Zeit ganz aus seinen Bildern verschwinden. Auf die Raumbilder
der frühen Jahre folgen nun also reine Stillleben. Auch
deren Wirkung beruht wesentlich auf dem Spannungsverhältnis
zwischen Abstraktion und Abbildung, also auf der Differenz
zwischen reinen Farbformen und Rastern einerseits und räumlichen
Gegenstandsabbildungen andererseits. Da die in Umrisszeichnungen
dargestellten Gegenstände Gläser, Karaffen
und Kristallvasen selbst durchsichtiges und zerbrechliches
Tafelgeschirr sind, verwebt sich deren reale Gegenständlichkeit
ideal mit ihrer zeichnerisch-transparenten Darstellung und
verbindet sich so überzeugend mit den darunter liegenden
flächig-autonomen Bildrastern.
Das Gestaltungspotential dieses Wechselspiels zwischen gezeichneten
Gläsern und autonomen Farbrastern erweist sich dabei
als so fruchtbar, dass sich der Künstler fast sieben
Jahre mit der Erkundung von dessen Ausdrucks- und Darstellungsmöglichkeiten
beschäftigt. Im Laufe der Zeit zeigt sich dabei, dass
die Darstellungsmodi der einzelnen Bilder ebenfalls zwischen
den Polen Abstraktion und Abbildung schwanken: Einerseits
malt Thomas Heger Bilder, deren Raster er so anlegt, dass
sie an bunt gewebte Tischdecken erinnern und damit das gesamte
Bild gegenständlich wirkt; andererseits schafft er Werke,
die den autonomen Charakter der Raster bewahren, wodurch die
Gläser in diesen Bildern wie Fremdkörper wirken.
(Vgl. Abb. Licht, 2000, Kat. 2000)
Von Flächen und Strukturen, Gläsern und Menschen
Erst im Jahre 2004 fügt Thomas Heger seinem bisherigen
Repertoire an abstrakten Formen und gegenständlichen
Motiven ein neues Motiv hinzu. Im Grunde genommen handelt
es sich wie bei den Gläsern und Rastern um ein neues
Bildelement: Es ist die Darstellung von menschlichen Figuren
in der Gestalt von Passanten in Alltagskleidung, die nun durch
seine abstrakten Bildräume gehen. Da er diese Figuren
in Farbigkeit und Form absolut abbildrealistisch wiedergibt,
kann er das Spannungsverhältnis zwischen Abstraktion
und Abbildlichkeit noch weiter steigern. Nun stehen nicht
mehr die gezeichneten Gläser für die gegenständliche
Welt, sondern fotorealistisch gemalte Passanten. Dementsprechend
rutschen die Gläser im Spannungsfeld zwischen Abbildhaftigkeit
und Abstraktion in einer Art Mittelposition zwischen den Figuren
einerseits und den autonomen Bildmitteln andererseits.
Diese neue Stellung der Glasformen zeigt sich auch in den
Bildräumen, welche die drei Bildelemente Flächen,
Gläser und Menschen - jeweils evozieren. Bei den autonomen
Farbformen bleibt der Bildraum weiterhin flächig, wobei
sie wie bisher - die Gesamtfläche des Bildes farblich
strukturieren. Den stärksten Kontrast zu ihnen bilden
nun die menschlichen Figuren, die sich von den Farbflächen
abheben und sich in einem eigenen, tiefenräumlich strukturierten
Bildraum bewegen. Zwischen diesen beiden Bildelementen vermitteln
die Gläser, die ihren eigenen Bildraum aufspannen. Er
wird definiert durch die Sicht von schräg oben und durch
ihre Transparenz, welche die darunter liegenden Farbflächen
nicht verdeckt. Im Vergleich zum Bildraum der Passanten wirkt
der Bildraum der Gläser jedoch wie eine schmale Raumbühne,
die zwischen starker Tiefenräumlichkeit einerseits und
reiner Flächigkeit andererseits vermittelt. Ein Phänomen,
das in jenen Bildern besonders deutlich wird, in denen die
Passanten - wie etwa in Orte kreuz und quer über
die Bildfläche laufen und so die Tiefe des Bildraums
in alle Richtungen erweitern. (Vgl. Abb. Orte 2008)
Die Einführung der fotorealistisch wiedergegebenen Passanten
in Thomas Hegers Bilderwelt ist jedoch nicht unproblematisch,
weil die enge formale Verwandtschaft zwischen der zeichnerisch
erzeugten Räumlichkeit der Gläser und der sie umgebenen
und hinterfangenden autonomen Flächenformen wird von
den Figuren geradezu brachial durchbrochen. Denn die Figuren
erfordern jene traditionelle Bildwahrnehmung, die das Bild
als Abbild der äußeren Realität begreift und
damit den beiden anderen Bildelementen diametral gegenüber
steht. Die fotorealistisch wiedergegebenen Passanten beschwören
somit die Gefahr herauf, dass sie sich im Bild mit den autonomen
Flächen und leicht abbildhaften Gläsern nicht zu
einer formal überzeugenden Einheit verbinden.
Dieser Gefahr begegnet Thomas Heger jedoch mit zwei geradezu
genialen Kunstgriffen: Erstens nimmt er den Figuren einen
Teil ihrer überwältigenden Bildkraft, indem er sie
im Vergleich zu den Gläsern und Farbflächen sehr
viel kleiner wiedergibt. Eine Vorgehensweise, die besonders
in den kleinformatigen Bildern deutlich wird. Denn hier stellt
Thomas Heger das Gleichgewicht zwischen den drei Bildelementen
dadurch her, dass er jeweils zwei bis drei kleine Passanten
und ebenso viele Flächenformen mit nur einer großen
Glasform kombiniert. In den größeren Bildern behält
er diese Gewichtung bei und ergänzt sie noch durch das
abstrakte Kompositionsprinzip des All-Over. (Vgl. Abb. Fern
von China 1, 2008) In einigen Bildern versucht er die Passanten
sogar noch stärker den autonomen Bildelementen anzupassen,
indem er die Figuren nicht farbgetreu wiedergibt, sondern
sie in einem monochromen Farbton malt.
Von Menschen und Landschaften
Wie stark sich die Verwendung von Abbildern realer Menschen
auf Thomas Hegers Bilderwelt auswirkt, zeigt sich besonders
in den kleinformatigen Werken der letzten beiden Jahre. Sie
tragen Titel wie Unterwegs, Weites Feld, Landschaft, Englische
Gärten oder Ballspieler und zeigen Menschen in der freien
Natur. Diese besteht aus Wiesen und Feldern, Büschen
und Baumgruppen, die zwar nicht ganz so detailrealistisch
wie die Figuren gemalt sind, aber dennoch eindeutig identifiziert
werden können. In diesen Bildern hat die abbildhafte
Darstellungsweise der Figuren offenkundig die gesamte Bildfläche
erobert. In ihnen ist aus dem einst autonomen Bildraum ein
abbildhafter Landschaftsraum geworden.
Mit den jüngsten Bildern verschiebt Thomas Heger das
Wechselspiel von Abstraktion und Abbildung also noch weiter
in Richtung Abbildhaftigkeit. Dennoch kehrt er damit nicht
vollkommen zur traditionellen, vor-modernen Bildauffassung
zurück, die das Bild als Abbild der äußeren
Realität begreift. Dies zeigt sich schon in der Art und
Weise, wie er seine Landschaftshintergründe malt. Denn
die großzügigen und gleichzeitig lockeren Pinselzüge
bewahren die Geste des Malakts, der als Farbauftrag auf eine
Fläche tendenziell ein nicht-abbildhafter Gestaltungsakt
ist, vergleichbar mit dem Anstreichen einer Fläche. Diese
besondere Art des Farbauftrags wird hauptsächlich in
jenen Bildern spürbar, wo die Wiesen als reine Farbflächen
gestaltet sind und von einer gegenständlich kaum begründeten
All-Over-Struktur dominiert werden, wie dies etwa in der Frühblüher-Serie
zu beobachten ist. (Vgl. Abb: Frühblüher1, 2005
)
Die Autonomie der Farbflächen betont der Maler darüber
hinaus durch die Verwendung außergewöhnlicher Bildformate.
Hierzu zählen die friesartigen Querformate, die um ein
Mehrfaches länger als hoch sind, wie etwa in der Mond-Serie
(vgl. Abb. Mond 5, 2007) und natürlich die Tondi, also
die Rundbilder im Kreisscheibenformat (vgl. Abb. Nächtliches
Spiel 1, 2008). Gerade in den Tondi ordnet Thomas Heger die
abbildlichen Landschaftselemente Erde und Himmel der Kreisform
radikal unter, indem er die Erde als grünes Farbband
gestaltet, das den blauen Himmel im Bildzentrum umrahmt. Offensichtlich
geben diese Bilder nicht die äußere Realität
wieder, sondern spielen mit der Spannung zwischen dem außergewöhnlichen
Kreisformat und dem landschaftlichen Motiv. Auch hier geht
es also letztlich um das spannungsvolle Verhältnis von
abstrakter Form und Abbildung.
Welches Potential diese neue Relation zwischen Abstraktion
und Abbildung hat, wird die künftige Arbeit des Künstlers
erst noch zeigen müssen. Doch schon heute lässt
sich im Rückblick auf sein bisheriges Werk feststellen,
dass die gestalterischen Möglichkeiten dieses Spannungsverhältnisses
riesig sind. Gerade im Hinblick auf das neue Gewichtsverhältnis
zwischen Abstraktion und Abbildung dürften deshalb wohl
auch in Zukunft noch viele neue Bilderfindungen zu erwarten
sein.
Dr. René Hirner
Kunstmuseum Heidenheim
Der Text erschien im Katalog Lichtläufer
anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Kunstmuseum
Heidenheim 2009.
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